Konzertreise 2023

Konzertreise "Auf den Spuren von Johann Sebastian Bach" 

vom 28.10.2023 – 4.11.2023

Sommer und Herbst 2022: Eine kühne Idee entsteht

Die letzte Veranstaltung und der nicht zu übertreffende krönende Höhepunkt unserer Zeit als Blockflötenensemble der Marienkirche Reutlingen sollte eine Konzertreise auf den Spuren von Johann Sebastian Bach werden. Die Idee entstand in wirren Corona-Fieberträumen nach unserem letzten Konzert in der Marienkirche im Juli 2022. 

Warum nicht einmal außerhalb unserer Region musizieren? Warum nicht tatsächlich auf Bachs Spuren wandeln und das ganze Ensemble teilhaben lassen an der wunderschönen Gegend in Mitteldeutschland und den netten Menschen dort? Jörg und Katja kannten die Gegend so gut, weil ihre Söhne Jan und Sebastian in Weimar und Leipzig Musik studiert hatten bzw. noch studieren. Warum nicht den Menschen in Bachs Gegend zeigen, wie schön Blockflötenmusik aus Baden-Württemberg klingen kann?

Die Idee konkretisierte sich v.a. durch das Lesen der folgenden Bücher: Volker Hagedorn: Bachs Welt und Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach. Sie trugen zur Idee bei, Bach in den Mittelpunkt zu stellen, aber darüberhinaus das Umfeld zu beleuchten, in dem Bach zu dem Musiker werden konnte, der er wurde und ebenso seine Nachwirkungen zu berücksichtigen bis in unsere heutige Zeit und bis nach Reutlingen.

Nachdem die ursprünglich miteingeplanten Streicher fast alle weggefallen waren, galt es ein abwechslungreiches Programm mit den vorhandenen Instrumenten zu erstellen und eine konkrete Konzertidee zu entwerfen.

Katja schrieb einige Kantoren und Kantorinnen mitsamt den Pfarrern und Pfarrerinnen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt an und stellte ihnen das Konzept vor. Aus Köthen und Ohdruf kam schon am selben Tag die Zusage, die anderen folgten kurz darauf. Wir starteten unsere Probenarbeit und spielten unser Programm mehrmals in Reutlinger und Tübinger Kirchen, weil wir auf der Reise keine Zeit mehr zum ausführlichen Proben hatten.

Das ganze Projekt wurde ausführlich festgehalten. Die meisten verwendbaren Videoaufnahmen des Konzertes entstanden aufgrund der besten Lichtverhältnisse und der uns zur Verfügung gestellten Truhenorgel beim letzten Konzert in Ohrdruf. Wer mag, kann unser Konzert auf diese Weise nachhören und kann eine CD erstehen, auf der alle Konzertorte berücksichtigt werden.

1. Tag, 28.10.2023:

Hinreise über Weimar

Am Hinreisetag besichtigten wir Weimar, wo nicht nur Goethe und Schiller gelebt haben, deren Denkmal am Theaterplatz unser erster Treffpunkt war. In Weimar wirkte Johann Sebastian Bach als 18-Jähriger für ein halbes Jahr als Lakei und Musiker in der Kapelle von Herzog Johann Ernst von Sachsen Weimar. Und er kam als 23-jähriger verheirateter Mann wieder nach Weimar und blieb 9 Jahre (bis 1717) als Kammermusiker, Hoforganist und Konzertmeister in Weimar. 

Theaterplatz in Weimar

Wir besichtigten die Herderkirche, in der Bach Gemeindeglied war und wo seine ersten Kinder, darunter Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel getauft wurden.

Herderkirche (Stadtkirche St. Peter und Paul) Weimar

Anschließend besichtigten wir die Arrestzelle von Bach in der Bastille. Bach war am Ende seiner Amtszeit in vierwöchigem Arrest, weil er eine Stelle als Kapellmeister in Köthen angenommen hatte, obwohl seine Dienstherren in Weimar ihn nicht ziehen lassen wollten. In der Arrestzelle in einem Teil des Weimarer Schlosses, der Bastille, begann Bach mit der Komposition des Wohltemerperierten Klaviers. 

Bastille mit ständiger Bachausstellung in Weimar

Wir besuchten den Liszt Wettbewerb im Fürstensaal der Musikhochschule, die einst zum Schloss gehörte und schauten uns auch an, wo Bachs Wohnhaus stand.

Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar

Marktplatz von Weimar mit Cranachhaus

Katja freute sich riesig, dass die Reise, die im Corona Fiebertraum im Sommer 2022 im Kopf entstanden war, tatsächlich wahr wurde und sie das ganze Ensemble mit ihrer Begeisterung für die Welt und die Musik von Johann Sebastian Bach anstecken konnte. Wir alle konnten es immer noch nicht richtig glauben, dass wir schon bald in Bachs Wirkungsstätten musizieren durften.

An jeder Bachstätte gab es Musik zu hören und Interessantes zu lesen.

In der darauffolgenden freien Zeit war Gelegenheit Goethes oder Schillers Wohnhaus anzuschauen, den Goethepark zu genießen, zu shoppen oder alte Freunde zu treffen. Am späten Nachmittag brachen wir auf nach Köthen.

2. Tag, 29.10.2023:  

Köthen, Schlossbesichtigung und erstes Konzert in der St. Agnus Kirche

In Köthen bezogen wir für zwei Nächte eine Pension ganz in der Nähe von Bachs Arbeitsplatz im Schloss. Nach dem Frühstück besichtigten wir zusammen das Schloss.

Danach schauten wir uns die St. Agnus-Kirche an, in der am Abend unser erstes Konzert stattfinden sollte und besuchten das Bachdenkmal in Köthen.

Bach lebte von 1717-1723 in Köthen. Er war hier als Hofkapellmeister bei Fürst Leopold von Anhalt-Köthen angestellt. Die ersten Jahre war er hier sehr glücklich. Nach dem Tod seiner ersten Frau Maria Barbara und der Heirat des Fürsten mit einer kränkelnden Frau, die keine Musik mochte, drängte es Bach fort nach Leipzig, weil dort seine Söhne eine bessere Schulbildung bekämen und später studieren könnten.

Bachdenkmal in Köthen

Nach dem Mittagessen wurde in der Kirche geprobt und um 17 Uhr durften wir in der Kirche musizieren, in der Musikgrößen aus aller Welt Konzerte geben, in die Bach und seine Familie regelmäßig zum Gottesdienst gingen. Wir wurden außerordentlich freundlich begrüßt, bekamen Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus und konnten dann gestärkt unser Konzert spielen. Das war v.a. für Katja ein absolut magischer Moment. 

Das Konzert war nicht übermäßig gut besucht, aber die Zuhörenden waren sehr angetan von unserer Musik und Katjas erläuternden Texten.

Danach ließen wir es uns gut gehen im Brauhaus Köthen. 

Sebastian war extra aus Leipzig zu unserem Konzert gekommen, so dass die Familie Fuß-Riedel ausnahmsweise mal wieder vollständig war.

3. Tag, 30.10.2023:  

Bezug unserer Herberge in Eisenach und zweites Konzert in Divi Blasii Mühlhausen

Am nächsten Morgen, dem 30.10. fuhren wir in die Geburtsstadt von Johann Sebastian Bach nach Eisenach. In der evangelischen Jugendbildungsstätte Junker Jörg, am Fuße der Wartburg würden wir die nächsten fünf Tage übernachten und von dort aus zu den weiteren Konzertorten fahren. Katja und Jörg hatten das Haus schon ein Jahr vorher besichtigt und fühlten sich von Beginn an willkommen. Der Hausleiter Herr Thönert ging auf alle unsere Wünsche ein.

Evangelische Jugendbildungsstätte Junker Jörg in Eisenach

Nach dem Mittagessen fuhren wir Richtung Mühlhausen mit einem Stopp für ein Gruppenfoto am geographischen Mittelpunkt Deutschlands, in Niederdorla.

Niederdorla – Mittelpunkt Deutschlands

Bach war 1707 in Mühlhausen Organist an der Kirche Divi Blasii, in der wir auch konzertieren durften. Eberhard Becker sollte an der Nachfolgerorgel von Bach spielen. Magisch!

Im Gemeindehaus konnten wir uns nach der Probe bei einem heißen Tee aufwärmen.

Das Konzert war sehr gut besucht. Die ersten Besucher kamen bereits eine Stunde vor Konzertbeginn, um sich gute Plätze zu sichern. Auch Bekannte aus Reutlingen kamen zu unserem Konzert.

Die Konzerteinnahmen bekamen wir, genau wie bei den übrigen Konzerten. Weil wir schon vorher in Reutlingen und Tübingen konzertiert hatten, konnten wir dadurch nicht nur die Fahrtkosten, sondern auch alle Besichtigungen, unser gemeinsames Abendessen in Köthen, die Übernachtungen für Eberhard Becker und Katja und Honorare an die Solisten zahlen. 

4. Tag, 31.10.2023: 

Gottesdienst zum Reformationstag in Eisenach und drittes Konzert in der Stadtkirche in Meiningen

Am nächsten Tag war der 31.10., Reformationstag und wir waren an dem Ort, an dem Martin Luther in dieselbe Schule gegangen war wie Johann Sebastian Bach, und sollten jetzt die Kirche besuchen, in der er gesungen und später gepredigt hat. Johann Sebastian wurde hier getauft und unzählige Bach-Verehrer pilgern jährlich zum Taufstein des großen Komponisten. Eine kleine Gruppe machte sich morgens auf den Weg zum Gottesdienst in der Georgenkirche, die zu unserem großen Erstaunen voll besetzt war und mit einer Bach-Kantate aufwartete. Nach dem Gottesdienst pilgerten auch wir zum Taufstein.

Reformationsgottesdienst in der vollbesetzten Georgenkirche in Eisenach

Der Taufstein in der Georgenkirche, an dem Johann Sebastian Bach getauft wurde.

Nach dem Mittagessen mussten wir schon wieder aufbrechen. Unser drittes Konzert in Meiningen wartete auf uns.

Stadtkirche Meiningen

Und wie in jeder Kirche auch hier freundlicher Empfang mit Tee und Gebäck, dann Probe, dann Konzert. Der Kantor von Meininingen hatte mächtig Werbung gemacht, so dass wir vor einer sehr gut besetzten Kirche musizieren durften. Für viele war dies unser schönstes Konzert, obwohl Johann Sebastian Bach in dieser Stadt nie gewirkt hat, aber natürlich Verwandte von ihm.

Katja und Eberhard bekamen wunderschöne Blumen überreicht.

Die nächsten zwei Tage war Konzertpause.

5. Tag, 1.11.2023: 

Besuch des Bachhauses in Eisenach und der Wartburg

Am 1.11. machten wir uns nach dem Frühstück zu Fuß auf den Weg zu Bachs Geburtshaus, dem ein großer Museumsanbau angefügt wurde. Im alten Haus bekommt man einen Eindruck vom Wohnen Bachs und seinem Leben, im Anbau gibt es viel Musik zu hören.  

Vor dem Bachhaus und dem Bachdenkmal in Eisenach

Wir bekamen als Gruppe ein Extra-Konzert auf verschiedenen Tasteninstrumenten und hatten dann genug Zeit, das fantastisch aufbereitete Museum zu besichtigen.

Nach gut zwei Stunden machten wir uns wieder auf den Weg zum Junker Jörg. Nach dem Mittagessen wartete die Wartburg auf uns. Wir konnten direkt von unserer Herberge aus durch den Wald zur Wartburg laufen. 

Den Jüngeren war vorher nicht bewusst, welch geschichtsträchtiger Ort die Wartburg ist. Hier hatte Martin Luther unter dem Decknamen Junker Jörg das Neue Testament ins Deutsche übersetzt, die Heilige Elisabeth hatte hier ebenso eine Zeit lang gelebt wie die Minnesänger des Mittelalters Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach. Der Sängerstreit, den Wagner zum Vorbild für seine Meistersinger Oper nahm, fand ebenfalls hier statt. Also, es lohnte sich, diese Burg zu besichtigen.

Wartburg über Eisenach

Szenen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen

Hier soll der Sängerwettstreit stattgefunden haben.

Die berühmte Lutherstube in der Wartburg

Im Museumsshop gab es eine reiche Auswahl an Mitbringseln.

Abends warteten nach dem Abendessen wieder Spiele auf uns.

6. Tag, 2.11.2023: 

Drachenschlucht – Erfurt – Arnstadt – Dornheim

Der nächste Tag war ganz frei. Einige nutzten den Tag, um die in der Drachenschlucht zu wandern.

Die meisten fuhren nach Erfurt, um dort zu shoppen (die Jüngeren von uns) oder auf Bachs Spuren zu wandeln, die Häuser von außen anzusehen, in denen Bachs Eltern lebten, bevor sie nach Eisenach zogen und in denen später Bachs ältester Brunder neben Johann Pachelbel wohnte. 

Die drei Bachhäuser im Junkersand in Erfurt

Wir schauten auch die Stammkirche der Familie Bach an.

Kaufmannskirche in Erfurt

Die Kaufmannskirche gilt als Hauskirche der Familie Bach. In den Kirchenbüchern sind mehr als 100 Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse der Erfurter Musikantenfamilie registriert. 1668 wurden hier auch die Eltern von Johann Sebastian Bach getraut. Nach der Übersiedlung nach Eisenach gab es regelmäßig sogenannte "Bach'sche Familientage", zu denen auch Johann Sebastian Bach nach Erfurt reiste. In dieser Kirche predigte auch Martin Luther.

Krämerbrücke in Erfurt

Manche schafften es auch noch zum Dom. In der Synagoge von Erfurt trafen wir uns unabgesprochen wieder.

Erfurter Dom

Die Unermüdlichen besichtigten im Anschluss noch Arnstadt, wo Bach als 17-jähriger seine erste Organistenstelle bekam und wo das erste Ensemblestück aus unserem Programm anlässlich des Begräbnisses von Bachs Großonkel Heinrich uraufgeführt wurde. 

Bachkirche in Arnstadt

Der junge Bach blickt über den Marktplatz in Arnstadt

Traukirche von Johann Sebastian und Maria Barbara Bach in Dornheim

In Dornheim, ganz in der Nähe von Arnstadt, heiratete Johann Sebastian am 17.10.1707 seine Cousine 2. Grades, Maria Barbara.

7. Tag, 3.11.2023:  

Drachenschlucht und viertes Konzert in Ohrdruf 

Sonnenaufgang über Eisenach – unser letzter Tag in Eisenach beginnt wunderbar.

Am letzten Tag stand auch unser letztes Konzert auf dem Programm, doch der Vormittag war frei und wir nutzten den Tag zum Üben, um uns noch einmal Eisenach anzuschauen, nochmal auf die Wartburg zu gehen oder die Drachenschlucht zu besuchen.

Drachenschlucht bei Eisenach

Nach dem Mittagessen machten wir uns auf den Weg zu unserem letzten Konzert nach Ohrdruf. Die Stimmung war noch immer gut, das letzte Konzert sollten wir auch noch hinbekommen.

In Ohrdruf lebte Johann Sebastian als Kind bei seinem ältesten Bruder Johann Christoph, nachdem zuerst seine Mutter, dann sein Vater gestorben waren. Hier lernte er von seinem Bruder das Orgelspiel. Von dieser Kirche ist nur noch der Turm übrig.

"Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen": Bacherinnerung neben dem Turm der Michaeliskirche 

St. Trinitatis Kirche in Ohrdruf

Wie immer wurden wir äußerst freundlich empfangen. Proben, Tee trinken, Gebäck essen und dann Konzert.

Das letzte Konzert im folgenden wird ganz ausführlich vorgestellt mit den Texten, die Katja zwischendurch zur Erläuterung vortrug.

Zu Beginn unseres Konzertes erklang ein Werk, das der Querflötenlehrer von Friedrich dem Großen komponiert hat. Es ist ein Abgesang auf die Blockflöte. Zu Quantz' Zeiten wurde sie altmodisch, die modernere französische Traversflöte nahm ihren Platz ein. Noch einmal durfte die Blockflöte jedoch in dieser Triosonate zusammen mit ihr erklingen. 

Johann Joachim Quantz (1697-1773)

Johann Sebastian Bach kannte und schätzte Johann Joachim Quantz aus seiner Zeit in Dresden. Dort war er an der Hofkapelle als Flötist angestellt. Der zweitälteste Sohn von Johann Sebastian, Carl Philipp Emanuel beschreibt sein Leipziger Elternhaus als "Taubenhaus", in dem ständig viele Menschen ein- und ausgingen. Seine Eltern führten ein offenes Haus, in dem sie viele Freunde und Kollegen von nah und fern, so auch immer wieder Quantz empfingen. Carl Philipp Emanuel war später ebenso wie Quantz am Hof von Friedrich dem Großen in Berlin angestellt und musizierte mit ihm zusammen.

Adolph Menzel, Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci (1852)

rechts im Bild Quantz, am Cembalo C.E. Bach

Wir erleben die Musik von Johann Sebastian im Kontext seiner Familie und von Weggefährten und Bewundereren und erfahren etwas über die Komponisten. Der musikalische Bogen spannt sich über zwei Jahrhunderte.

Das nächste Werk führt uns fast 100 Jahre zurück nach Arnstadt. Johann Sebastian ist 8 Jahre alt als der Bruder seines Großvaters beerdigt wird. Heinrich Bach war fünfzig Jahre lang Organist in Arnstadt. Er ist ein Sohn des Spielmanns Hans Bach. Eine große Menschenmenge, darunter viele Familienangehörige nimmt an der Trauerfeier teil. Die Familien der Bachs umfassen zu dieser Zeit ca. sechzig Personen, davon wirken rund fünfzehn als Berufsmusiker in zehn Städten. Heinrichs jüngster Sohn Johann Michael hat für die Beerdigung seines Vaters eine Motette komponiert, die von der Familie Bach zu Gehör gebracht wird. 

Johann Michael Bach (1648-1694)

Der Text geht auf den 90. Psalm zurück:

Dazu erklingt eine Choralmelodie, die Johann Sebastian später ans Ende der Johannespassion setzen wird. Bei dieser Beerdigung singt er sie zusammen mit seinen gleichaltrigen Cousins. 

Nur ein Jahr später stirbt zuerst Sebastians Mutter und kurze Zeit später sein Vater. Der zehnjährige Vollwaise wird von seinem ältesten Bruder Johann Christoph aufgenommen. In Ohrdruf ist Johann Christoph an der Michaeliskirche als Organist angestellt. Johann Sebastian lernt bei ihm Orgel spielen.

Unser nächstes Stück führt uns in die prächtige Hansestadt Lübeck. Hier ist Dietrich Buxtehude seit Jahrzehnten Organist an der riesigen Kirche St. Marien. 

St. Marien in Lübeck

Der mittlerweise 18jährige Johann Sebastian spielt fantastisch gut Orgel und wird als Orgelgutachter hochgeschätzt. Nun hat er die Stelle seines Großonkels Heinrich als Organist in Arnstadt inne. Doch er hat den zwingenden Wunsch, weiter zu lernen und beantragt deshalb als Zwanzigjähriger einen vierwöchigen Urlaub, um zu seinem großen Vorbild Buxtehude zu reisen und von ihm zu lernen. Aus den genehmigten vier Wochen werden vier Monate. Seine Vorgesetzten sind richtig sauer. Auf die Frage, warum er so lange in Lübeck blieb, antwortet Bach, "umb daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen" (Christoph Wolf S. 105f) 

Kurze Zeit nach seiner Rückkehr aus Lübeck nimmt er die Organistenstelle in Divi Blasii in Mühlhausen an und heiratet Maria Barbara. Sie ist die Tochter von Johann Michael Bach, des Komponisten der zu Beginn gehörten Sterbemotette. Schon ein Jahr später wird er nach Weimar abgeworben. Die ersten Kinder werden geboren: Catharina Dorothea, danach Wilhelm Friedemann. Manche Kinder sterben direkt nach der Geburt. 1714 kommt Carl Philipp Emanuel zur Welt. Sein Patenonkel wird Bachs Freund Georg Philipp Telemann, der zu dieser Zeit im benachbarten Eisenach wirkt.

Georg Philipp Telemann (1681-1767)

Als Johann Sebastian 32 Jahre als ist, zieht die Familie nach Köthen um. Er wird am Hof eines kunstliebenden Fürsten Kapellmeister und erlebt eine sehr glückliche Zeit. Doch Glück und Leid liegen wie immer in Bachs Leben sehr eng zusammen. Während er den Fürsten auf einer zweimonatigen Reise nach Karlsbad begleitet und täglich Konzerte gibt, stirbt seine Frau.  

Ein Jahr später heiratet er Anna Magdalena Wilcke. Sie ist eine großartige Sängerin, verdient als Hofsängerin auch viel und spielt sehr gut Cembalo. Wie Maria Barbara stammt sie aus einer Musikerfamilie. Bach legt für sie zwei "Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach" an. In diese Notenbüchlein werden jahrelang neue Werke eingetragen, auch die der Bachkinder.

Die zwei Stücke, die Sie gleich hören werden, hat der Reutlinger Komponist und Professor an der Stuttgarter Musikhochschule Karl Michael Komma für Blockflötenquartett arrangiert. Die Polonaise hat Carl Philipp als Kind geschrieben, die Musette hat Johann Sebastian wohl für Unterrichtszwecke komponiert. 

Zwei Persönlichkeitsmerkmale stechen bei Bach besonders hervor. Er ist zum einen getrieben von einem Perfektionsdrang, der ihn seine Werke wieder und wieder überarbeiten lässt. Er ist aber auch erfüllt von einer tiefen Religiosität und einem Gottvertrauen, das noch heute Menschen anspricht. Ich lese aus der 2022 erschienenen Biographie des Weltklasse Oboisten Albrecht Mayer "Klangwunder". 

Albrecht Mayer

"In der Freude wie in der Verzweiflung – Bach hat mir musikalisch einfach alles gegeben, was ich brauchte. Und das tut er noch heute. Bach bedeutet mir alles. Seine Musik ist auch der Schlüssel zu meiner Spiritualität. Durch ihn ahne ich etwas von dem Göttlichen. Durch ihn erfahre ich eine Transzendenz, die mir ansonsten meist verwehrt bleibt. … Für mich sind alle Menschen von Natur aus religiös. Wir Menschen brauchen eine übergeordnete Instanz, die nicht von dieser Welt ist. Danach sehnen wir uns letztendlich alle tief im Herzen. …, für mich spricht Gott durch Bach. Ohne Bach wäre ich nicht der Musiker mit aller Tiefe und Differenziertheit und Durchlässigkeit, der ich heute bin." (S. 153, S.146) 

Im Lied "Wer nur den lieben Gott lässt walten" kommt Bachs tiefe Frömmigkeit zum Ausdruck, mit der er allen Schicksalsschlägen begegnet. Später nimmt er das Lied als Grundlage für eine gleichnamige Kantate. Das Vorspiel stammt aus dem Notenbüchlein.

Eberhard Becker in St. Agnus, Köthen

Zu Bachs Zeit war es üblich, Teile einer Komposition von anderen Komponisten in die eigene Komposition einzubauen. Das verstieß nicht gegen irgendein Copyright, sondern bedeutete, dass man von diesem Komponisten viel hielt. Bach verwendete dabei sehr gerne Werke seines Freundes Telemann und führte viele Kantaten, Kammermusik und Orchesterwerke von Telemann auf. 

Als Telemann 1767 als berühmtester Komponist Deutschlands starb, wurde sein Patensohn Carl Philipp Emanuel sein Nachfolger als Generalmusikdirektor in Hamburg. Telemann hatte den Grundsatz: "Gieb jedem Instrument das, was es leiden kann, so hat der Spieler Lust, Du hast Vergnügen dran."

Hamburg im 17. Jahrhundert

In einem der Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach aus der Köthener Zeit befinden sich auch die Französischen Suiten. Jan Fuß spielt jetzt drei Sätze aus dieser eigentlich für Cembalo geschriebenen Suite Nr. 3 in einer selbst arrangierten Fassung. Wir werden erleben, wie vollständig eine einzige Blockflöte klingt.

In Köthen gibt Bach auch die sechs Konzerte für verschiedene Instrumente heraus, die wir heute als Brandenburgische Konzerte kennen. Er widmet sie dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwendt, den er beim Cembalokauf in Berlin kennengelernt hatte. Wir hören den Eingangssatz des 2. Konzertes, ursprünglich für die Soloinstrumente Trompete, Blockflöte, Oboe und Violine sowie Streichorchester geschrieben, in einer Fassung für Blockflötenensemble.

Das Vorspiel zu "Von Gott will ich nicht lassen" stammt von Bachs Schwiegervater Johann Michael Bach, dem Komponisten der zu Beginn gehörten Motette.

Eberhard Becker in Divi Blasii, Mühlhausen

Vor 300 Jahren wird die Stelle des Thomaskantors in Leipzig frei. Bach ist Ende 30 und als exzellenter Organist und Komponist weltlicher Werke bekannt. Er bewirbt sich um die Stelle, v.a. um seinen Söhnen eine Universitätsausbildung zu ermöglichen. Nachdem der Wunschkandidat - sein Freund Telemann - abgesagt hatte und auch die anderen Bewerber die Stelle nicht antreten konnten, bleibt Johann Sebastian Bach übrig. Ein Ratsherr aus Leipzig meinte: "Da man nun die besten nicht nehmen könne, so müße man mittlere nehmen." 

Aus der Leipziger Zeit als Thomaskantor hören wir einen Satz aus der Motette "Jesu, meine Freude". Unserer Strophe liegt folgender Text zugrunde: 

Die folgende Flötensonate ist ein Spätwerk Bachs. Sie ist geschrieben für die in Mode gekommene Traversflöte. Er komponierte sie für den engsten Vertrauten von Friedrich II., Michael Gabriel Fredersdorf, seinen Kammerdiener, Schatzmeister und (Flöten)partner. 

Bach nahm die musikalische Ausbildung seiner Kinder, auch die der Töchter, sehr ernst und unterrichtete sie selbst. Vier seiner Söhne wurden erfolgreiche Musiker, alle vier folgten ihren eigenen stilistischen Vorlieben. Jeder einzelne entwickelte eine musikalische Sprache, die seiner Individualität entsprach. Johann Christian, der jüngste von ihnen, gilt als der Paradiesvogel unter den Söhnen Bachs. Er ist 14 Jahre alt beim Tod des Vaters. Sein Bruder Carl Philipp Emanuel, Cembalist des Königs in Berlin, nimmt ihn bei sich auf. 

Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788)

Der jüngste Bachsohn Johann Christian macht zunächst in Italien, dann in England Karriere als Opernkomponist und unterrichtet die englische Königin Sophie-Charlott. Als Wolfgang Amadeus acht Jahre alt ist, macht sein Vater Leopold mit ihm eine Konzertreise, die sie auch nach London führt. Leopold Mozart stellt Wolfgang Johann Christian vor. In der Folge wird der jüngste Bachsohn zum großen Vorbild für Mozart.

Johann Christian Bach (1735-1782)

Wilhelm Friedrich Ernst Bach ist der letzte Komponist der Bachfamilie, die über sieben Generationen lang, mehr als 200 Jahre, die Musikwelt in Mitteldeutschland prägte. Er wird 9 Jahre nach dem Tod seines Großvaters Johann Sebastian in Bückeburg geboren. Sein Vater ist Johann Christoph Friedrich Bach. Bei ihm bekommt er auch Cembalounterricht.  

Schloss Bückeburg

Hier war Johann Christoph, der Vater von Wilhelm Friedrich Ernst als Hofmusiker angestellt.

Als 19-jähriger zieht Wilhelm Friedrich Ernst zu seinem Onkel Johann Christian nach London und wirkt dort als Klaviervirtuose und Klavierlehrer. Nach dem Tod des Onkels tritt er eine längere Konzertreise durch Holland und Frankreich an. Für den Nachfolger von Friedrich dem Großen komponiert er eine Huldigungskantate, die den König so beeindruckt, dass er ihn als Cembalist und Kapellmeister nach Berlin beruft. Später wird er Musiklehrer der Kinder von Königin Luise und Wilhelm Friedrich II.

Wilhelm Friedrich Ernst Bach (1759-1845)

Unser letztes Werk stammt von Felix Mendelssohn Bartholdy. Er war zu seiner Zeit der bekannteste und beliebteste deutsche Komponist. Felix' Großvater ist der weltberühmte Philosoph Moses Mendelssohn. 

Moses Mendelssohn (1729-1786)

Sein Freund Gotthold Ephraim Lessing nahm ihn zum Vorbild für Nathan der Weise.

Ein Großteil der ursprünglich jüdischen Familie konvertierte zum Protestantismus. Felix und seine ebenfalls komponierende Schwester Fanny wachsen mit Bachs Musik auf, obwohl der Zeitgeschmack mittlerweile ein anderer war. 

Eine Schwester von Felix`´  Großmutter, Sara Levy, ist die Lieblingsschülerin von Bachs ältestem Sohn Wilhelm Friedemann Bach. Sie lernt auch Carl Philipp Emanuel schätzen. Nach dessen Tod unterstützt sie seine Witwe und gibt zusammen mit ihren Brüdern Carl Philipps Werke heraus. Sara kauft der Witwe auch das Notenbüchlein für Anna Magdalena ab und schenkt Felix zum 16. Geburtstag eine Originalabschrift der Matthäuspassion.  

Sarah Levy, geborene Itzig (1761-1854)

Die gesamte Familie Mendelssohn sorgte dafür, dass Johann Sebastian Bachs Musik nicht vergessen wurde. Felix Mendelssohns Wiederaufführung der Matthäuspassion an der Singakademie in Berlin nach 100 Jahren Dornröschenschlaf leitete die weltweite Bachrenaissance ein.

Mendelssohn stiftete auch das weltweit 1. Denkmal für Johann Sebastian Bach nahe der Thomaskirche in Leipzig. 

Zur Enthüllung 1843 lud er auch den Bachenkel Wilhelm Friedrich Ernst ein, der hochbetagt anreiste. Vorher besuchte Wilhelm Fr. Ernst gemeinsam mit Robert und Clara Schumann unter Mendelssohns Leitung ein Konzert im Gewandhaus mit den Thomanern, die einst sein Großvater Johann Sebastian geleitet hatte, . 

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847)

Wir spielen das Andante der 4. Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy. Das 1. Thema stammt von Friedrich Zelter, dem Kompositionslehrer von Felix Mendelssohn. Goethes Freund Zelter vertonte mit dieser Melodie die Goetheballade "Es war ein König in Thule". Dieser König bekam von seiner geliebten früh gestorbenen Frau einen Becher geschenkt, den er über alles liebte. Jedesmal wenn er daraus trank, dachte er an seine Frau und den Tod. Felix schrieb diesen Satz im Todesjahr von Zelter und Goethe 1832.

Das Konzert war gut besucht (auch liebe Menschen aus Reutlingen) und die Menschen waren sehr erfreut – es gab sogar Standing Ovations. Sie würden ja viele schöne Konzerte und viel Interessantes zu hören bekommen in ihrer Kirche, aber unser Konzert sei etwas ganz Besonderes gewesen mit vielen neuen Informationen, war der durchgängige Tenor.

Dieses Mal bekamen sogar alle am Ende eine große Packung Merci Schokolade geschenkt (in Ohrdruf produziert), und Katja bekam von der Kirchengemeinderätin eine Kopie eines selbst gemalten Stammbaums der Familie von Bachs Bruder Johann Christoph überreicht, die jetzt ihren Unterrichtsraum schmückt.

Einen schöneren Abschluss dieser Zeit des Blockflötenensembles der Marienkirche kann es nicht geben. Alles hat geklappt. Das Wetter hat mitgespielt, alle blieben gesund, die Menschen in Thüringen und Sachsen-Anhalt waren äußerst freundlich und die Ausflüge waren wunderschön.

DANKE!!!!

8. Tag, 4.11.2023: 

Rückreise oder Weiterreise

TROST BEI BACH

Bach gibt mir den Glauben, dass in der Kunst wie im Leben das wahrhaft Wahre nicht ignoriert und nicht unterdrückt werden kann, auch keiner Menschenhilfe bedarf, sondern sich durch seine eigene Kraft durchsetzt, wenn seine Zeit gekommen. Dieses Glaubens bedürfen wir, um zu leben. Er hatte ihn. …

Darum sind seine Werke so groß und er so groß als seine Werke. Sie predigen uns: stille sein, gesammelt sein. Was er war und erlebt hat, steht nur in den Tönen. … Jede einzelne Stimme ein Wille, eine Persönlichkeit, alles frei, in Freiheit sich begegnend, sich meidend, sich hassend, sich liebend, sich helfend und zusammen etwas einheitlich Lebendiges, das so ist, weil es so ist.

Albert Schweitzer